Heute durfte ich mit einem Jugendlichen arbeiten. Eine Einzelstunde. Klar, dass es nicht seine Idee war zu kommen, sondern diejenige seiner Mutter. Diese war nämlich skeptisch bezüglich der schulmedizinischen Behandlung nach einem Snowboard-Unfall. Das Knie, Knorpel und Gewebe verletzt, angerissen, wie auch immer. Der Junge hat eine Zeit mit Krücken und dann mit Physiotherapie verbracht. Der Unfall liegt inzwischen fast sieben Wochen zurück. Ich kann also annehmen, dass das Gewebe sich genügend erholt hat.
Selbstverständlich ist der Junge der Ansicht, dass alles wieder ok ist. Die Mutter bemerkt noch immer ein Hinken und fügt hinzu, dass Feldenkrais in jedem Fall gut sei für ihn. Um seine Haltung zu verbessern. Wahrscheinlich ein verbreitetes Phänomen unter dreizehnjährigen.
Nun gut. Während der Zeit ich noch mit der Mutter gesprochen habe, hat der Junge sich bereits auf die Liege gesetzt. Offensichtlich, was mit schlechter Haltung gemeint ist. Es sieht aus als würde er auf der Rückseite seines Beckens sitzen und nicht auf den dafür gedachten Sitzknochen. Ich frage, ob er weiss wo seine Hüftgelenke sind. Denn diese müssten dazu mehr gebeugt werden. Er zeigt auf den unteren Rücken, den oberen Beckenrand. Ok, ich verstehe, weshalb er so sitzt.
Ich frage, ob er in der Schule bereits Anatomie hatte. Ja, soeben damit begonnen. Wir gehen zum Skelett. Kein Problem für ihn, mir hier die Hüftgelenke zu zeigen. Ich gebe ihm eine Idee zu davon, wo die Hüftgelenke zu finden sind, wenn Muskeln um die Knochen gepackt sind.
Weiter im Stehen. Sollte die Verletzung noch Einfluss auf seine Bewegungen haben, ist davon auszugehen, dass das Gewicht nicht gleichmässig auf beiden Füssen verteilt ist und, oder er sich unterschiedlich organisiert, wenn er sein Gewicht von einer Seite zur anderen verlagert. Ich bemerke Unterschiede, er nicht.
Spielt keine Rolle. Feldenkrais funktioniert trotzdem.
Ich bitte ihn, auf eine Seite zu liegen, das verletzt Knie oben. Doch es geht in dieser Stunde nicht so sehr ums Knie. Auf jeden Fall geht’s nicht darum das Knie zu bewegen. Es soll ruhen und sich in Sicherheit wiegen, wenn alles rundum gefordert wird. Wenn der Bauch lernen soll sich von der Atmung bewegen zu lassen. Wenn die Rippen lernen, dass sie nicht alleine sind auf der Welt, sondern mit Kopf, Arm und Becken in Verbindung stehen. Und, wenn, ja
klar, die Hüftgelenke gefunden werden sollen. So ganz beiläufig. Über verschiedene Bewegungen des Beines.
Als das obere Hüftgelenk freudig jegliche Bewegungsrichtungen erlaubt, bitte ich ihn sich auf den Rücken zu drehen. Und frage, ob er Unterschiede zwischen seinen beiden Seiten wahrnimmt. Nein. Fühlt sich ein Bein länger an? Nein, nicht nachmessen indem du deine Füsse in Kontakt bringst. Nein? Ok. Dann braucht es eben Bewegung um ihn die Unterschiede spüren zu lassen. Ich rolle ganz sachte das Bein, das zuvor oben lag. Es ist leicht. Das Hüftgelenk ist noch immer mit von der Partie. Gut. Dann rolle ich das andere Bein. Hm. Jetzt wird’s klarer. Es geht weniger gut. Eindeutig, das vermag auch er jetzt festzustellen. Etwas Druck über die Fusssohle kopfwärts bringt das gleiche Resultat. Mehr
Leichtigkeit auf der gleichen Seite. Schwere auf der anderen.
Er meint es könne daran liegen, dass beim zweiten Bein die Muskulatur mehr gefordert wurde. Durch das Gehen mit Krücken. Klar, könnte sein.
Ich lasse ihn auf dem Rücken und mach mich auf, dem zweiten Hüftgelenk auf die Spur zu kommen. Es braucht nicht lange und es zeigt sich… Ist jetzt auch dieses zweite Bein leichter geworden? Ja? Ja! Gut. So schnell ist Ausgleich da!
Also Füsse aufstellen. Ein paar Mal anheben, fallen lassen. Die Knie nach vorne über die Füsse bringen, um ihn nach unten zu ziehen. Dann wieder Beine anheben, fallen lassen, nach unten ziehen. Macht Spass! Dann von der anderen Seite: Druck via Wirbelsäule zum einen Fuss hin, zum anderen. Genau, beide Knie waren selbstverständlich und gleichberechtigt mit von der Partie!
Und dann aufsitzen.
Ups, war da für einen Moment eine „bessere Haltung“? Bevor er wieder seine gewohnte Haltung einnimmt? Ich bitte ihn sein Becken etwas zu rollen. Geht viel leichter, geschmeidiger als am Anfang. Ich lasse ihn seine Hände auf den unteren Bauch bzw. unter die Schlüsselbeine zu platzieren. So dass sie sich während der Bewegung annähern und wieder auseinander gehen. Er möchte es gut machen, strengt sich an. Und…. die Bewegung wird schwieriger. Ich bitte ihn seine Atmung zu beobachten, die Bewegung eher beiläufig zu machen. Ihr die Wichtigkeit wegnehmen. Genau. Jetzt wird’s wieder leichter!
Aufstehen. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Es ist anders. Das Gewicht anders auf den beiden Füssen verteilt. Die Gewichtsverlagerungen einfacher.
Alles war gut vor der Stunde. Danach spürbar besser!
Unnötig daran zu glauben. Feldenkrais wirkt!
11.02.2017 / Brigitte Heusser