Die Stärke des Unbekannten

"Fehler lassen sich beim Lernen nicht vermeiden, selbst wenn wir uns nur auf die strikte Nachahmung verlassen; Lernen bedeutet für uns, das Unbekannte zu erfassen.
Jede Handlung kann zum Unbekannten führen. Wenn man das, was anfangs fehlerhaft erscheint, ausblendet, kann man das Lernen ganz und gar uninteressant machen."

Letztes Wochenende, auf meiner Spaziergangs-Runde – der Wald eingeschneit – machte ich eine spannende Erfahrung. Für einen Moment war ich unsicher, ob ich noch auf dem richtigen Weg war oder eine Abzweigung verpasst hatte. Es sah alles so anders aus als beim letzten Mal – ohne Schnee.

Es war ein kurzer Moment des Verloren-seins, des Nicht-Wissens in unbekannter Welt. Und er erinnerte mich daran, dass ich schon mal so eine Erfahrung gemacht hatte. Damals noch eindrücklicher, da in absolut unbekannter Umgebung.

Im Dezember 2014, an meinem ersten Tag in Peking, meinem ersten Tag in Asien überhaupt, startete ich zu Fuss vom Hotel aus, um das Quartier zu erkunden. Bereits nach wenigen Abzweigungen hatte ich keine Ahnung mehr wo ich war (= keine Orientierung auf dem Stadtplan). Leichte Panik stieg auf.

Mein Plan für diesen ersten Tag war: etwas spazieren und früh zu Bett gehen, denn mein Flug kam frühmorgens an und ich hatte kaum geschlafen. Ich wollte also einfach Spazieren. War es wirklich wichtig zu wissen, wo ich durchgehe oder nicht? Eigentlich nicht…

Ich überlegte kurz wie ich von irgendwo in der Stadt wieder zurück zum Hotel finden könnte: U-Bahn (wie bei der Ankunft) oder Taxi (hatte die Adresse auf Chinesisch dabei). Beruhigt ging ich weiter.

Nach einer Weile fühlte es sich gut an, in unbekannter Stadt unbekannte Wege zu gehen. Da entlang, wo es mich hinzog. Es gab mir ein Gefühl von Freiheit und Stärke.

Nicht sehr lange und ich erkannte die Gebäude, welche ich ursprünglich anschauen wollte. Ich konnte meinen Standort auf dem Stadtplan wieder bestimmen. Und fand später ohne Probleme zu Fuss zum Hotel zurück. Gestärkt von dieser Erfahrung.

Verschiedenes kann dazu führen, dass wir nicht mehr wissen wo wir sind. Dass unser Alltag von einer Sekunde auf die andere in einem anderen Kleid erscheint. Die Orientierung plötzlich fehlt.

In solchen Momenten hilft Bewegung. Einen Schritt zu machen ist eine Entscheidung in eine bestimmte Richtung zu gehen. Sich beugen oder strecken oder drehen ändert die Blickrichtung. So lässt sich herausfinden, was sich gut anfühlt, wie es weiter gehen soll.

Nicht im Mentalen hängen zu bleiben, sondern einfach mal ausprobieren, handeln, kann geübt werden. Wer schon an Feldenkrais Gruppenlektionen teilgenommen hat, erinnert sich vielleicht an Momente, wo plötzlich die Orientierung fehlt, das eigene Tun hinterfragt wird.

Dann diese Situation annehmen und einfach mal ausprobieren, egal ob richtig oder falsch. Beobachten was sich gut anfühlt, was irritiert, was leicht geht, was eher zäh… Um so neue Handlungsfreiheit und Stärke zu entdecken, um schlussendlich Schritt für Schritt leichter durch die Welt zu gehen.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen Kraft, Freude und Zuversicht beim eigenen Gestalten, Handeln, Kreieren und auswählen. So dass Momente des Nicht-Wissens, der Orientierungslosigkeit euch nicht allzu lange erschrecken müssen und Ihr im neuen Jahr viele erfüllende Stunden und Tage erleben könnt.

Herzlich,
Brigitte